WERKE: MARTIN VEIGL
Martin Veigl
Das verführte Auge oder die List der Malerei
Auf Tuch- bzw. Hautfühlung in hartem Ausschnitt erfasst: Arme, Beine, Gesichter, sonnenbeschienene junge Körper am Strand. Legeres Outfit: Basecaps, Shirts, Sneakers, Sonnenbrillen. Mal aufgekratzt, mal in eine bestimmte Richtung schauend, mal gelassen dreinblickend, im Gespräch begriffen oder ‒ wie so häufig heutzutage ‒ ins Mobiltelefon vertieft. Leicht niedergedrückt vom bleiernen Gewicht hoher Temperaturen, was den Bewegungsdrang ein wenig hemmt. Ein sommerliches Genrebild unserer Tage, erfasst aus der Nahperspektive.
Man hockt eng nebeneinander oder ist in kleineren Gruppen unterwegs. Dem Augenblick hingegeben, scheinbar ziellos, offen für alles, ohne Förmlichkeiten: Szenen, wie sie hierzulande gern als „mediterran“ bezeichnet werden, obwohl gerade in südlichen Ländern auf gepflegte Umgangsformen geachtet, auf bella figura Wert gelegt wird. Aber davon ist hier nichts zu spüren. Das Leben als leichtes Treiben abseits der Norm, weit entfernt von Tagesordnung und Terminkalender. Aus dem normierten Alltag in die formlose Freizeit ausgewichen, sucht man doch wieder Beschäftigung.
Es scheint, als wolle Martin Veigl auf seinen Bildern eine Bühne dafür bereiten: Sommervergnügen mit Zuschauern. Ein sich alljährlich wiederholendes Schauspiel mit vielen anonymen Akteuren, uns allen so vertraut und ‒ gerade in Zeiten der Pandemie ‒ so teuer geworden. Was bislang als zwangloser Moment gedankenlos hingenommen wurde, steht jetzt unter dem Vorbehalt des Risikos und ist zu einem wertvollen Gut geworden.
Der Farbauftrag ist flüssig, nie pastos-plastisch Autonomie einfordernd, dafür sein Gewicht in die optische Waagschale werfend. Und dann geschieht es: In die Lektüre der Pinselführung vertieft, erlebt das Auge unversehens einen Schock. Es gibt eben keine Bühne, keinen Raum. Die scheinbar intakte, dem Sehsinn schmeichelnde Harmonie wird zwar nur stellenweise, dafür aber umso empfindlicher gestört: Die hintersinnig insinuierte Geschlossenheit des Augeneindrucks ist aufgehoben. In lavierender Maltechnik ausgeführt, legen sich Leerflächen wie Wolken zwischen die eng beieinanderstehenden, ganz sich selbst hingegebenen Menschengruppen: Einmal dringen sie in die Körper regelrecht ein oder legen sich wie eine Farbflut über Körper und Kleidung, sodass nur die isolierten Köpfe herausschauen. Man kennt das von Ölstudien aus dem tiefen Fundus der kunsthistorischen Vergangenheit. Aber was dort ein rein technisches Isolierverfahren war, ist hier zu einem bildkünstlerischen Prozess geworden, der jeden problemlosen Oberflächenkonsum unmöglich macht: Wie ein Lösungsmittel scheinen Leerstellen die Farbsubstanz zu absorbieren oder sie umgehen diskret die leinwandfüllenden, sich mächtig in den Vordergrund schiebenden Körper und bilden einen unauffälligen Fond, ganz wie der Sand, der sich so wohlig mit dem Fuß durchpflügen lässt. Wohin man auch schaut: Überfülle durch Körper, aber Leere um diese herum oder gar auf deren Kosten.
Der Künstler wird zum Spielverderber, die Malerei zur Regelbrecherin: Zu behaglichem Nachvollzug einer Illusion auffordernd, zerstört sie diese Illusion mit malerischen Mitteln ‒ das ist die List der Malerei. Martin Veigl lässt sich nicht vorschreiben, eine für das Auge im Bild dargebotene Illusion bruchlos zu vervollständigen, um seinem Publikum einen simplen Genuss zu offerieren. Es kommt zum Bruch ‒ zwar nur im Bild, aber die Herausforderung bleibt.
Gemalt wird für das Auge, aber vorrangig, um eine Denkleistung anzustoßen: Neben dem abrupten Ausschnitt, der schon an sich eine Provokation darstellt, setzt Martin Veigl das Mittel der Auslassung ein. Damit fährt er dem verführten Auge des Betrachters, das sich schon ganz auf seine Souveränität verlassen hat wie mancher Autofahrer auf sein Navi, tüchtig in die Parade: Es landet zwar nicht im Teich, aber in einer Leerstelle, ja im Nichts. Ganz sommerlich gestimmt, hatte es sich auf einen netten Aufenthalt am Strand gefreut: pure Augen-Lust. Aber nun muss es einsehen, einer neuen, ganz eigenen Variante der schon sehr alten Geschichte der Augen-Täuschung aufgesessen zu sein: Ceci n’est pas une plage.
Malerei ist mehr als ein in der Feuilletonkolumne ausgetragener Streit zwischen abstrakt und figurativ. Kontroverse war gestern. Was bleibt, ist die Malerei: Seit jeher hat sie das Auge gereizt, ihm geschmeichelt, es aber auch mit kleinen wie großen Denkaufgaben konfrontiert. Man malt mit der Hand und sieht mit dem Auge – aber beides wird vom Gehirn gesteuert.
Ulrich Becker